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Fachanwalt Arbeitsrecht Hamburg - Die Absage und das AGG


03.09.2012

Wer sich um eine Arbeit bewirbt, erhält auch Absagen. Früher war es durchaus üblich, so eine Absage zu begründen, wenn auch häufig etwas verklausuliert. Da hieß es etwa: “Leider können wir Sie nicht in unser junges Team aufnehmen” oder: “Wir haben uns für eine weibliche Mitarbeiterin entschieden” oder auch: “Die Position erfordert langjährigere praktische Erfahrung.” Dann war der Bewerber also zu alt, hatte sich auf eine typische Frauenstelle beworben oder war zu jung. Solche Aussagen waren nicht unbedingt erfreulich, aber oft durchaus hilfreich gemeint. Und der Bewerber wusste zumindest, woran es lag und worauf er bei der nächsten Bewerbung zu achten hatte.

Seit dem “Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz” (AGG) ist das alles ganz anders. Dort heißt es:

§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Die §§ 8 – 10 des AGG und § 5 AGG stellen dabei klar, dass nicht jede Unterscheidung nach solchen Merkmalen automatisch auch eine Benachteiligung ist. Sucht Borussia Dortmund einen Libero für die 1. Mannschaft, wird sich selbst ein Herr Beckenbauer bei einer Absage nicht auf Altersdiskriminierung berufen können. Aber so etwas nicht gerade typisch für unsere heutige Arbeitswelt.

Diskriminierungsverbot auch bei der Bewerbung

Und das Gesetz gilt dabei ausdrücklich auch schon für das Bewerbungsverfahren:

§ 2 Anwendungsbereich
(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,

2. ….

Ein Verstoß hat Folgen

Wird bei einem Einstellungsverfahren gegen das AGG verstoßen, hat der Bewerber Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche:

§ 15 Entschädigung und Schadensersatz
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

In der Praxis bedeutet diese etwas schwer verständlichen Bestimmung, dass ein aus unzulässigen Gründen abgelehnter Bewerber zwar keinen Anspruch auf Einstellung hat. Er kann aber eine Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern der ausgeschriebenen Stelle erhalten (§ 15 Abs. 2. S. 2). Wäre er ohne die Benachteiligung eingestellt worden, kann er darüber hinaus einen Anspruch auf entgangenen Lohn haben (§ 15 Abs. 1).

Ein Verstoß gegen das AGG kann für ein Unternehmen also schon bei einer Bewerbung durchaus unangenehme finanzielle Folgen haben. Darum galt seitdem für jede Personalabteilung der Grundsatz: Nur wer nichts macht, macht auch nichts falsch. Eine Absage so zu begründen, wie in den obigen Beispielen wäre inzwischen in der Tat tödlich, legen sie doch eine Alters- oder Geschlechtsdiskriminierung nahe. Also sagt man gar nichts mehr und bedauert allenfalls, dass man sich nicht für den Bewerber habe entscheiden können und wünscht ihm viel Glück beim nächsten Mal.

Die Frage der Beweislast

Aber wie kann ein Bewerber dann überprüfen, ob ein Verstoß gegen das AGG vorlag? Diese Schwierigkeit hat der Gesetzgeber in gewissem Umfang durchaus berücksichtigt. In § 22 AGG heißt es:

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Es ist also zwar nicht so, dass der Arbeitgeber die Diskriminierungsfreiheit von Anfang an darlegen muss. Aber für einen Bewerber genügt es erst einmal, wenn er ein “Indiz” für eine Benachteiligung anführt. So etwas kann sich zum Beispiel schon aus der Formulierung einer Stellenanzeige ergeben:

Gesucht wurde “eine(n) junge(n) engagierte(n) Volljuristin/Volljuristen.” Der 52-jährige Bewerber wurde abgelehnt, eingestellt wurde eine 33-jährige. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass schon mit dem “jung” ein Indiz für eine unzulässige Altersdiskriminierung vorlag (BAG, 19.08.2010 – 8 AZR 530/09). Der Arbeitgeber konnte dem nichts entgegensetzen, der Bewerber erhielt eine Entschädigung von (allerdings nur) einem Monatsgehalt.

Aber auch so etwas spricht sich natürlich herum. Inzwischen achten die meisten Arbeitgeber auf zumindest formal diskriminierungsfreie Stellenanzeigen. Wenn dann auch die Ablehnung ganz neutral und ohne jede Aussagekraft ist, was soll also der Bewerber machen, wenn er sich gleichwohl diskriminiert fühlt?

Aus diesem Grund wurde diskutiert, ob ein Bewerber nicht Anspruch auf eine begründete Ablehnung hat. Ein solcher Anspruch besteht nach dem AGG aber nicht, ebenso wenig nach dem “Kelly-Urteil” aus Europarecht. Es bleibt also die Frage: Wenn nichts gesagt wird, hat da jemand vielleicht etwas zu verschweigen und ist das dann schon ein Indiz für eine Diskriminierung?

Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 19.4.2012, Az: C 415/10) jetzt in der Tat zumindest unter bestimmten Umständen bejaht.

Eine 50-jährige Deutsch-Russin bewarb sich auf eine Stelle für “eine/n erfahrene/n Softwareentwickler/-in”. Qualifiziert war sie. Eingestellt wurde sie ohne weitere Begründung nicht, es gab auch kein Vorstellungsgespräch. Der Arbeitgeber schwieg sich auch auf Nachfrage über die Gründe aus. Die Bewerberin machte Ansprüche wegen ethnischer und Alters- sowie Geschlechtsdiskriminierung geltend. Das Bundesarbeitsgericht stellte dem Europäischen Gerichtshof die Frage, ob die Verweigerung einer Auskunft ein Indiz für eine Diskriminierung sei.

Die Antwort des EuGH lautet: “Kann durchaus sein.” Die Verweigerung jeder Auskunft über die Gründe der Absage und das Fehlen eines Vorstellungsgesprächs sei verdächtig , da die Bewerberin die Anforderungen doch erfüllte habe. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Gerichte zur praktischen Durchsetzung der Diskriminierungsfreiheit aufgerufen seien (Und also an die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen keine zu hohen Anforderungen stellen dürften). Ob im konkreten Fall tatsächlich eine Diskriminierung vorlag, habe das Ausgangsgericht (Das BAG oder nach Zurückverweisung das Landesarbeitsgericht) festzustellen.

Kein Entrinnen für den Arbeitgeber

Die Entscheidung läuft also darauf hinaus, dass ein Arbeitgeber spätestens auf Nachfrage oder wie hier in einem Gerichtsverfahren die Ablehnung eines geeigneten Bewerbers begründen muss, will er einer Verurteilung entgehen. Mittelbar besteht damit durchaus ein Anspruch auf eine solche Begründung.

So etwas kann einen Arbeitgeber durchaus in eine schwierige Situation bringen. Zwar ist auch das mittelbare Abstellen auf Alter, Geschlecht oder Religion möglich, wenn es dafür sachliche Gründe gibt. Aber solche Gründe sind zunehmend schwieriger darzulegen und werden immer angreifbarer. Insbesondere “körperliche Belastbarkeit” und “allgemeine Konstitution”, die gerne bei der Auswahl zu Gunsten von Männern und jüngeren Bewerbern angeführt werden, geraten immer mehr unter Beschuss, wie etwa eine Entscheidung zur Unzulässigkeit von Altersgrenzen bei Flugzeugpiloten zeigt. Und schon die “Erfahrung” hat bei einem grundsätzlich geeigneten Bewerber ein Geschmäckle von Altersdiskriminierung, denn eine gewisse Einarbeitung wird fast immer erforderlich sein. Eine diskriminierungsfreie Absage ist also alles andere als einfach.

Ebenso wenig empfehlen sich offensichtlich unsinnige Ablehnungsgründe. “Donnerstags stellen wir keine Blonden ein” verstößt zwar nicht gegen das AGG, wohl aber gegen den Anspruch eines ernsthaften Bewerbers auf ernsthafte Entscheidung über seine Bewerbung. Denkbar ist aber vielleicht ein “unter mehreren gleich geeigneten Bewerbern musste leider das Los entscheiden”. Aber das müsste erst noch den Praxistest bestehen.

Vermutlich wird die Entscheidung des EuGH erst einmal den Trend bestärken, einfach keine Absagen mehr zu erteilen: Der Arbeitgeber meldet sich schlicht nicht und hofft, dass es keine Nachfrage gibt. Immerhin bringt eine begründete und zugleich unangreifbare Absage einen erheblichen Arbeitsaufwand mit sich. Wie lange die Unternehmen dem noch entgehen können, bleibt abzuwarten.

 
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